7. Internationales Frauenfilmfestival 1999As large as Life- Einführung: Das Festival begibt sich in diesem Jahr auf die Suche nach Geschichten, die das Leben schreibt. Uns interessieren vor allem die Lebensum- und -abwege, die Brüche und Nischen jenseits der gradlinigen Lebensläufe und Vorbildbiografien: Ausstieg und Aufbruch; Leben jenseits von Normalität und Konvention; Ereignisse, die dem Leben eine unerwartete Wendung geben; exzentrische Karrierefrauen und Karriereknicks; alte Schachteln und schwierige Schwestern, Frauen auf der Suche oder auf der Flucht. femme totale folgt der Spur jener Geschichten, die gerade dann spannend werden, wenn sie vorgezeichnete Lebenswege verlassen. Zu sehen sind Momentaufnahmen aus der Vielfalt und Komplexität des Lebens: das tägliche Überleben und das abgründige Glück, große Träume und heimliche Wünsche, Exil und Erinnerung... Weitere Tips zum Festival: Dokumentarfilme auf dem Festival Aus dem hohen Norden: |
Filmprogramme Avatar Das Leben im Sucher - Fotografinnen Der Blues der alten Schachteln Die Philosophie des Unterwegs Just the two of us Looking for Fumiko Unorte Weder glatt noch gefällig |
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As large as Life "Life is what happens while you're busy making other plans", dieser Auspruch John Lennon's, markiert am ehesten die Intentionen des Festivals und der meisten Filme. Biografien in einem nicht ganz üblichen Sinn, Lebensgeschichten und Momente der Erinnerung sind Thema des diesjährigen Festivals. Denn vorbei ist die Zeit eindeutiger und gradliniger Lebensplanung, zu sehr sind globale politische wie wirtschaftliche Entwicklungen wirksam, als daß sie von dem einzelnen Individuum noch analysiert und planend in das eigene Leben eingebaut werden könnten. Auf dem Festival sind Augenblicke zu sehen, in denen die traditionellen Lebensphasen ohne Bedeutung sind. Hier werden Menschen gezeigt, die entweder gestrandet sind oder sich bewußt aus der Gesellschaft oder dem vorgezeichneten Lebensweg entfernt haben. Die "postmoderne" Gesellschaft ist durch pluralistische Vorstellungen in allen denkbaren Bereichen gekennzeichnet: "... es geht um eine Bewegung von monistischen Erklärungen hin zu einer Vielfalt von Interpretationsversuchen; von traditionell fixierten zu hybriden und flexiblen Identitäten; von universalistischen Großerzählungen zu einer Vielfalt von Kleinerzählungen; von einer Annahme historischer Kontinuitäten zu einer Akzeptanz diskontinuierlicher geschichtlicher Prozesse." (P.M. Lützeler, Die Zeit, 1.10. '98). Das Festival begibt sich mitten hinein in den Dschungel der Identitäten und unvorhergesehenen Ereignisse. Die Filme der Reihe: Aves Better than chocolate Cache Darf ich mal schreien Das dritte Fenster Die Hard Die Strasse Divorce Iranian Style Famous Fred Fetch Holy Cow Kino La Pisseuse Lulu Marie Mystery of Looking, The Ratwomen Ruth Snow World Straight from the suburbs Words Zuppa Tartaruga Zwischen 4 + 6
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Das Leben im Sucher - Fotografinnen Dem Erinnern selbst und dem Aufzeichnen als biografische Bestandsaufnahme wendet sich der Schwerpunkt "Das Leben im Sucher" zu. Filme von, über und mit Fotografinnen finden sich in dieser Reihe, die sowohl Dokumentarfilme ö wie über die lesbische Fotografin Alice Austen (The Female Closet von Barbara Hammer) ö als auch Spielfilme wie Lisa Cholodenkos High Art umfaßt. Ally Sheedy spielt in der US-Independent-Produktion High Art eine drogenkonsumierende Fotografin, die sich aus Frust über die Verlogenheit der Kunstwelt aus der 'Hohen Kunst' zurückgezogen hat. Als sie von einer jungen Redakteurin 'wieder'entdeckt wird, bahnt sich eine nicht unkomplizierte Liebesbeziehung zwischen den beiden an, die Cholodenko wunderbar sensibel inszeniert hat. Ally Sheedy ist für ihre Rolle in High Art für den Oscar vorgeschlagen, so ein vor Redaktionsschluß noch unbestätigtes Gerücht. Ihre fiktive Figur der 'Lucy Berliner' erinnert in manchen Dingen an die New Yorker Fotografin Nan Goldin, deren Dia-Show "Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit" sie weltweit bekannt machte. Goldins ungeschminkte Einblicke in die Bars und Privatwohnungen des künstlerischen Undergrounds gehören zu den faszinierendsten Dokumentationen der 80er Jahre und kennzeichnen das Bild einer Szene und ihrer Epoche. Ungeklärte Geschlechtsidentitäten, Glamour, Schönheit, Liebe, Sex, Rausch, Gewalt und Tod sind die Themen dieser Bilder. Als Anfang der 90er Jahre viele FreundInnen bereits an AIDS verstorben sind, realisiert Goldin mit der BBC ihren ersten Film, den sie nach einem Stück von The Velvet Underground & Nico I'll Be Your Mirror nennt. Er wird eine zärtliche Erinnerung an die Toten und eine Liebeserklärung an die (Über)Lebenden. Cindy Sherman ist die andere New Yorker Fotografin im Programm. Die Eigenart, in frühen Arbeiten immer als ihr eigenes Modell aufzutreten, sorgt für Aufmerksamkeit, vor allem, da sie in den unterschiedlichsten Frauentypen oft nicht wiederzuerkennen ist und so die Konstruktion von Weiblichkeit entlarvt. Als sich Sherman in den Arbeiten, die zu Beginn der 90er Jahre entstehen, als Modell ausklinkt, bleibt der Körper in seinen verschiedenen Aggregatzuständen ihr Thema; Sex, Gewalt, Tod fließen mit ein, hier als purer Horror. Kein Wunder, daß Office Killer, ihr erster Spielfilm, ironisch die Geschichte einer Serienmörderin erzählt, einer unscheinbaren und unterbezahlten Redakteurin, die einen raffinierten Feldzug gegen rücksichtslose Vorgesetzte startet. Shermans Thriller ist eine schwarze Komödie, die leider bis heute nicht im Kino angelaufen ist, obwohl der Bundesstart seit fast zwei Jahren mehrfach angekündigt wurde. Da der deutsche Verleih wenig Interesse an diesem Film und einer Festivalaufführung zeigt, konnte bis Redaktionsschluß leider nicht geklärt werden, ob eine Aufführungsgenehmigung erteilt wird. Zudem im Programm: Dalda 13 - A Portrait of Hamai Vyarawalla von Monika Baker über die international publizierte indische Fotoreporterin Hamai Vyarawalla und Ariane et Compagnie von der Fotografin Martine Franck, die ihre Fotos von Ariane Mnouchkine und Ensemble filmisch montiert hat. Die Filme der Reihe: Big Mop Dalda 13 - A Portrait of Homai Vyara Walla Female Closet High Art I'll be your Mirror Office Killer Sientje |
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Der Blues der alten Schachteln Altwerden ist für das Mainstreamkino kein Thema. Alte Frauen bleiben meist auf wenige Typen beschränkt: auf Mütter und Omas, alte Jungfern, schrullige oder verbiesterte Alte. "Objekt der Begierde" sind Alte selten. Sexualität im Alter gehört noch immer zu den Tabuthemen der Leinwand. Die Filmreihe "Der Blues der alten Schachteln" rückt alte Frauen in den Mittelpunkt. Im finnischen Film Sand Bride von Pia Tikka gerät Sallas friedliches Leben durcheinander, als Rui wieder auftaucht. Ihre alte Liebe, die sie vor 50 Jahren in einer kleinen Missionsstation in Südwest-Afrika begannen, flammt wieder auf, doch die Zeit hat Spuren und Narben in ihren Gesichtern und Herzen hinterlassen. Und ein Geheimnis wartet darauf, entdeckt zu werden. Sand Bride erzählt die Geschichte einer jahrzehntelangen Leidenschaft, die auch eine Geschichte einer verpassten Chance und hoffnungsvoller Zukunftsträume zugleich ist. Trotz ihres Alters erheben Salla und Rui Anspruch auf das Recht, zu lieben und geliebt zu werden. Auch in Queen of the Mist (USA 1996, R: Rohesia Hamilton Metcalfe) verweigert eine alte Frau, sich in ihr Schicksal zu fügen. Als erster Mensch raste die 63jährige Lehrerin Annie Edson Taylor 1901 in einem Holzfaß die Nigarafälle hinunter. Mit dieser aufsehenerregenden Tat wollte sie Arbeitslosigkeit und Armut entkommen. Doch als alte Schachtel wurde sie nicht gefeiert, sondern verlacht. Ihre Manager nahmen sie aus. Als ein Mann ihre Tat zehn Jahre später wiederholte, redete niemand mehr von ihr. Taylor starb mit 83 Jahren völlig verarmt. Was ist Erinnerung, was Lüge ö der kanadische Film Home for Blind Women ist ein verwirrend-faszinierendes Spiel mit Genres, mit Wahrheit und Lüge. Zwei alte Damen in einem Heim für blinde Frauen spielen lustvoll ihre Macht als Zeuginnen historischer Ereignisse aus. Einen Blick in eine andere Kultur eröffnet How to care for the Senile (Sumiko Haneda, JAP 1985). In einem staatlichen Krankenhaus in Südjapan leben hochbetagte Patienten, die medizinisch als "Demente" bezeichnet werden. Einerseits zeigt der Film aufschlußreich Konzepte der Pflege, andererseits gibt er ein lebendiges und individuelles Portrait dieser alten Frauen in ihrer Gemeinschaft. Die Regisseurin gilt als eine der renommiertesten Dokumentarfilmerinnen Japans. Die Filme der Reihe: Home for blind women Pastry, Pain & Politics Sand Bride How to care for the Senile Queen of the mist |
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Der Weg ist das Ziel Thelma und Louise steht für die weibliche Eroberung eines bisher fast ausschließlich männlichen Terrains: des Roadmovies. Mit rund zehn Filmen hat femme totale das Interessanteste zusammengetragen, was es an Filmen von Frauen und über Frauen in diesem Genre noch gibt ö in der Filmreihe "Die Philosophie des Unterwegs". Das klassische amerikanische Roadmovie ist die konsequente Weiterentwicklung des guten alten Cowboy- und Indianerfilms: Mann zieht los, erlebt unterwegs eine Menge Abenteuer und hat als Deko vielleicht noch ein hübsches, schießwütiges Frauchen an seiner Seite. Viel Gewalt, Sex und Crime. Seit den 80er Jahren brechen diese Strukturen auf: Auch Frauen können schon mal Hauptdarstellerinnen oder gar Regisseurinnen sein, und gleichgeschlechtlich lieben dürfen sie jetzt ebenfalls. Auf Verbrechen und Gewalt verzichten auch die Filmemacherinnen nicht. Und doch erzählen sie subtiler, feinfühliger, leiser, was ihren (Anti-)Heldinnen im gesetzlosen Raum des Unterwegs passiert. Unterwegs ist alles möglich, unterwegs heißt, abgeschnitten zu sein von bürgerlicher Existenz und Häuslichkeit, und im Unterwegs-Sein liegt die Chance, eine neue Identität zu finden und verändert anzukommen ö irgendwo. Die Filme der Reihe Greetings from out here Inside the boxes Interstate Love Manny & Lo My America - ...or honk if you love Buddha Nacht des Schmetterlings, Die Ô trouble Our Marylin Queen of the mist Sand Bride Wanda |
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Just the two of us Im Kino braucht es oft mehr als eine Traum-Frau, um alle Facetten des Weiblichen abzubilden. Schwestern sind ein beliebtes Thema, ob als unheimliche Erscheinung oder als Varianten des komischen Paares. Mit der oft schwierigen Beziehung zwischen Schwestern beschäftigt sich diese Reihe des Festivalprogramms Die Filme der Reihe: Einundzwanzig Fire Eater Keeper Manni und Lo Metamorphosen meiner Freundin Eva Under the Skin |
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Looking for Fumiko - Japan auf dem Festival Looking for, gesucht werden: japanische Filmemacherinnen. In Europa ist das japanische Kino zwar mittlerweile in Mode, Filme von Frauen sind aber noch weitgehend unbekannt. Tatschlich haben Frauen erst in diesem Jahrzehnt begonnen, in gr§erer Zahl als Regisseurinnen zu arbeiten. Vorher erhielten nur wenige diese Chance: Kinoyo Tanaka war in 40er und 50er Jahren eine bekannte Schauspielerin, bevor sie 1953 erstmals selbst Regie fhrte. Ihre sechste und letzte Regiearbeit, Miss O-Gin (1962) wird die Japan-Filmreihe erffnen. Den programmatischen Namen gab der Filmreihe die Dokumentation Looking for Fumiko von Nanako Kurihara (1993). Die Filmemacherin verlie§ ihr Land wegen der geringen Entfaltungsmglichkeiten fr Frauen. Erst in New York erfhrt sie von anderen japanischen Frauen von der japanischen Frauenbewegung, die 20 Jahren zuvor ins Leben gerufen wurde. Gefesselt von dieser Entdeckung reist sie zurck nach Japan und macht sich auf die Suche nach den 'Veteraninnen' der Bewegung. Mit weiblichen Schnheitsidealen in der japanischen Kultur setzt sich Midori Kurisaki auseinander. Seit ber 1000 Jahren sind schwarze, lange und glnzende Haare in Japan Symbol und Attribut fr weibliche Schnheit. Der Film Schwarze Haare (1980) betrachtet dieses Phnomen unter historischen, kulturellen und volkstmlichen Aspekten. Dazu zhlen nicht nur berlieferte Stoffe und Motive, sondern auch traditionelle Knste, wie das Kabuki-Theater oder das Puppentheater Bunraku. Midori Kurisaki kommt zum Festival. Der Schwerpunkt des Programms liegt auf neueren Filmen aus den 90er Jahren. Suzako von Naomi Sento erhielt 1997 bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme fr die Kamerafhrung. Als Europapremiere zeigt das Festival In Search of a Lost Writer in Anwesenheit der Regisseurin Sachi Hamano. Auf einer Party voller exzentrischer Menschen unterhalten sich zwei junge Frauen ber eine Schriftstellerin. Ihr Name ist Midori Osaki. Sie hat Meisterstcke der Literatur verfa§t und ist 1932 im Alter von 35 pltzlich und fr immer aus der literarischen Welt verschwunden. Wer war Midori Osaki? Die Regisseurin Sachi Hamano hat eine eher ungewhnliche Karriere hinter sich: Sie drehte vorher ber 300 Pinkfilme. Die Filme der Reihe: Dark Hair Falling into the evening Goodbye movie How to care for the senile In search for a lost writer: Wandering in the seventh world Life of Ants Miss O-Ging Organ Portrait of Solitude Ripples of change - Looking for Fumiko Super Lover Suzaku Tears of Sand |
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Lost in Music Seit vielen Jahren beschäftigt sich femme totale immer wieder mit dem Thema Film und Musik. "Lost in Music" rückt nun MusikerInnen in 'steiler Karriere' und aus dem 'Underground' ins Rampenlicht. Das Verwobensein von Leben und künstlerischem Schaffen wird u.s. in drei bestechenden Dokumentarfilmen eingefangen. Die Filme der Reihe: Decline of Western Civilization Füx Fatal Mambo Underground Orchestra The week Elvis died |
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My Brilliant Career Arbeitende Frauen, weniger Karrierefrauen, stehen im Zentrum dieses Themenschwerpunktes, der so etwas wie die Kehrseite von Unorte ist. Filme: Dark side of Hollywood, The Einundzwanzig Extra Girl Life and times of Rosie the riveter Mit starrem Blick aufs Geld My Brilliant Career Women are not littel men |
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Unorte Mit der Themenreihe "Unorte" schafft das Festival gewissermaßen das Gegenstück zu der Reihe "My brilliant career". Sie setzt dort an, wo Lebensläufe entgültig entgleisen. An Orten, die als Unorte gelten, hält man sich angeblich nicht gern auf, und damit einher geht gesellschaftliche Ausgrenzung. Wie man an diese Orte oft ungreiwillig gelangt, sich aber dennoch einrichtet und einrichten muß erzählt etwa der Film It was a wonderful life. Die Filme der Reihe: Cosmos Dangerous offender Darf ich mal schreien Die Strasse - El'Havy First Steps In the house It was a wonderful life Lili und der Wolf Ohne Bewährung. Psychogramm einer Mörderin Ruth Zeit der Tränen, Die Zuckerpott |
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Schauspielerinnen stellen sich vor: Janina Sachau, Julia Jäger, Nina Petri Janina Sachau
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Julia Jäger Ihre Filmkarriere begann bereits während der Ausbildung. 1991 wurde sie für ihre Rolle in Erste Verluste (R: Maxim Dessau) mit dem Max-Ophüls-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. Die Berlinerin spielte in zahlreichen Fernsehfilmen, u.a. Polizeiruf 110 und Tatort. Einem größeren Kinopublikum wurde sie durch den Detlev Buck-Film Karniggels bekannt. Große Anerkennung als Filmschaupielerin erhielt Julia Jäger mit dem Film Neben der Zeit von Andreas Kleinert. Der filmdienst attestierte, daß ihre "...Natürlichkeit und Frische die Leinwand zu sprengen scheint." So. 14. März 1999, 20.00 Uhr, CineStar Dortmund |
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Nina Petri Die Hamburgerin hat inzwischen mit fast allen aktuellen deutschen Filmemachern gedreht. So spielte sie u.a. in Doris Dörries Bin ich schön (1998) und in Sönke Worthmanns Allein unter Frauen (1991). Derzeit ist sie neben Corinna Harfouch und Wolfgang Stumph in "Bis zum Horizont und weiter" zu sehen. Zum Festival bringt Nina Petri die Tödliche Maria (1993, R: Tom Tykwer) mit. Für die Titelrolle erhielt sie 1994 den Bayerischen Filmpreis sowie den Prix de la Presse International in Genf. Fr. 12. März 1999, 20.00 Uhr, CineStar Dortmund |