Ausfürliche Informationen zu den Filmen des 99er Festivals



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Avatar

Eine andere Identität zu wählen, ist kein neues Phänomen. Sei es täglich morgens vor dem Kleiderschrank, beim Telefonieren oder beim Verfassen eines Lebenslaufs, der je nach Bedarf umgestrickt wird. Karnevaleske Feste mit entsprechenden Verkleidungen sind seit dem Mittelalter fester Bestandteil der europäischen Kultur.

Die Entwicklung einer elektronischen, virtuellen Gesellschaft im Internet hat dem Spiel um Identitäten jedoch neue Möglichkeiten gegeben. Öfter als im sogenannten realen Leben verstecken sich Internet-User hinter ihrem Avatar, einem alter ego im Netz. Sei es bei der Kommunikation auf Webseiten, in chatboxes oder MUDS (Multi-User-Domains). Dieses Spiel mit den multiplen Persönlichkeiten ermöglicht es, sozialer Kontrolle und Konventionen zu entfliehen. Und es ermöglicht bei all seiner Konstruiertheit, Rückschlüsse auf die Konstruktion in unserem täglichen Leben zu schließen. Ein Avatar kann viele Gesichter haben. Durch neueste Technologie sind photografische Gesichter und Stimmen möglich. Im Endeffekt bleibt es der Kreativität des Users überlassen. Aber das Spiel bleibt nicht unbedingt ohne Risiko. Mit den Möglichkeiten und Gefahren beschäftigt sich das Programm Avatar. femme totale stellt in Zusammenarbeit mit Axis (Amsterdam) vier Webprojekte von Künstlerinnen auf einer großen Kinoleinwand vor.

Wie auch der Dokumentarfilm The Brandon Teena Story von Susan Muska und Greta Olafsdottir, beschäftigt sich Shu Lea Cheang (USA) mit der Geschichte von Brandon/Teena, einem gender-crosser. Brandon wurde, nachdem seine weibliche Anatomie entdeckt wurde, vergewaltigt und ermordet. Cheangs Projekt bringt Brandon über vielschichtige Erzählstränge und Bilder in den Cyberspace und führt zu Themen wie Gewalt und Bestrafung zwischen realem und virtuellem Raum. Merja Puustinen und Andy Best (FIN) gehörten zu den ersten Europäerinnen, die Kunst im Netz schufen. Jetzt beschäftigen sie sich damit, virtuelle Welten und Charaktere zu entwickeln. Victoria Vesna, Professorin an der UC Santa Barbara (USA) stellt ihr Projekt Bodies INCorporated vor, in dem es um die Psychologie von Gruppendynamiken geht. Vertreten ist desweiteren die Finnin Marita Liula mit der hochausgezeichneten CD-Rom Ambitious Bitch (Ars Electronica, Prix Moebius International), die wie die anderen Künstlerinnen ihre Arbeit persönlich vorstellen wird.

Damit die BesucherInnen die interaktiven Projekte selbst ausprobieren können, gibt es im Festival-Zentrum (Dietrich-Keuning-Haus) kleine Pavillons, in denen man, wie in einem Privatkino, die Bilder von der Tastatur direkt auf die Leinwand projezieren kann.

Websites der Künstlerinnen:

Marita Liulia: "Ambitious Bitch"
Victoria Vesna: "Bodies INCorporated"
Shu Lea Cheang: "Brandon"
Merja Puustinen+Andy Best: "Conversations with Angels"

 




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Das Leben im Sucher - Fotografinnen

Fotografieren hieß teilnehmen, lautete 1994 der Titel einer vielbeachteten Ausstellung im Essener Folkwang Museum. Gewidmet war sie den deutschen Fotografinnen der Weimarer Republik, als die Zöpfe dem Bubikopf wichen und der Typus der 'Neuen Frau' Furore machte. Diese war möglichst selbständig, sportlich aktiv und berufstätig. Nun strebten auch bürgerliche Frauen in die Berufswelt, und neben den klassischen Angestelltenjobs als Sekretärin oder Telefonistin bot gerade die Fotografie kreativen Spielraum. Die Bemächtigung des technischen Apparats schien eine besondere Faszination auszuüben, gekoppelt an einen aktiven Blick und die Produktion eigener Bilder. Doch Frauen hinter der Kamera sind nicht erst ein Phänomen der 20er Jahre. Schon seit Anbeginn der Fotografie lassen sich Frauen in diesem Metier finden, und hier vor allem im Bereich der Portraitfotografie, die zugleich am weitesten verbreitet war. Damals galt die Fotografie noch als reines Handwerk, da es keinen langwierigen Schaffensprozeß wie bei der Malerei gab. Das Foto erschien als bloßes Mittel der Abbildung, d.h. als rein technisches Produkt, dessen Qualität an der Einhaltung konventioneller Kriterien gemessen wurde, so zum Beispiel der Schärfe und bestimmten Ausleuchtungsstandards. Eine künstlerisch orientierte Fotografin wie Julia Margaret Cameron, die in ihren mystisch und religiös durchwirkten Bilder mit Unschärfen arbeitete, mußte sich Mitte des letzten Jahrhunderts stets mit kritischen Kommentaren über die handwerkliche Qualität ihrer Bilder auseinandersetzen.

Die US-amerikanische Regisseurin Maggie Greenwald läßt 1993 in der Schlußsequenz ihres Westerns The Ballad of Little Jo (femme totale Festival 1995) eine reisende Fotografin als wegweisende Figur und Hoffnungsträgerin der beginnenden Emanzipation auftreten. Im Gegensatz zur eigentlichen Heldin des Films, die zuvor nur als Mann verkleidet unabhängig leben konnte, ist es der Fotografin nun gegen Ende des 19. Jahrhunderts möglich, sich frei zu bewegen. Die starke Symbolträchtigkeit der Fotografin liegt in ihrer Stellung als aktives Subjekt: berufstätig, selbstbestimmt, unabhängig und kreativ.

Neben der Portraitfotografie brachte der Fotojournalismus gerade mit der Entwicklung handlicher Kleinbildkameras - allen voran die Leica - und der Expandierung von illustrierten Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen den Fotografinnen neue Perspektiven. Dieser Beruf versprach den Zugang zur Modewelt, Reisen in ferne Länder, Einblicke in fremde Kulturen, nicht selten aber wurden auch politische Ereignisse festgehalten und Kriege dokumentiert. Die in den 50er Jahren tätige indische Fotojournalistin Hamai Vyarawalla gehört zu den Frauen, deren Fotos von politischen Ereignissen weltweit veröffentlicht wurden. Die Britin Monika Baker portraitiert deren Arbeit in ihrer Dokumentation Dalda 13 - A Portrait of Hamai Vyarawalla. Barbara Hammer begibt sich mit ihrer dreiteiligen Dokumentation "The Female Closet" erneut auf Spurensuche nach lesbischer Geschichte und stößt dabei auf die anerkannte amerikanische Fotografin Alice Austen, die um die Jahrhundertwende auf Staten Island/New York gelebt und gearbeitet hat. Austens Bilder von sich und ihren Freundinnen, sowie Briefe weisen auf eine lesbische Identität hin, ein Umstand, der von konservativen New YorkerInnen jedoch gern geleugnet wird. Die Künstlerwelt der Metropole New York spielt in unserer kleinen Reihe eine besondere Rolle, denn hier leben zwei Künstlerinnen, die aus der Geschichte der Fotografie nicht mehr wegzudenken sind: Cindy Sherman und Nan Goldin. Beide weisen in ihren Arbeiten Brücken zum Film auf und haben sich mit feministischen Fragen und Theorien auseinandergesetzt.

In den späten 70ern wurde Cindy Sherman mit ihren Untitled Filmstills bekannt, Schwarzweißfotos, in denen sie sich in unterschiedlichsten Maskeraden/Rollen selbst fotografiert hat. Es sind Szenenfotos aus Filmen, die nie gedreht wurden, und trotzdem formen sich in den Köpfen der B etrachtenden Szenen und Geschichten zu der Frau und ihrer Umgebung auf den Fotos. Doch sind es nicht die Kostüme, die Accessoires und die Posen, die auf den Filmstills das Bild von Weiblichkeit konstituieren - vielmehr wird deutlich, daß die Mediatoren der Fotografie selbst verantwortlich für das Bild der Frau werden: Ausschnitt, Ausleuchtung, der fotografische Winkel, die Schärfe, die Komposition, auch die Körnigkeit des Bildes erzeugen Stereotypen. Die später folgenden Untitles zeigen Sherman in grotesken Masken und Posen, die in ihrer Verzerrung der dargestellten Personen bereits mit dem Schauerlichen spielen.

1989/90 beginnt Sherman mit Prothesen, künstlichen Körperteilen zu arbeiten, schlüpft für nachgestellte Portraits alter Meister in Frauen- und Männerrollen. In späteren Serien zieht sie sich selbst als Motiv aus den Bildern zurück, setzt Gummi- und Plastikprothesen von medizinischen Demonstrationspuppen zu monströsen Leibern zusammen, thematisiert Sex, Gewalt und Kontamination durch Fotos von scheinbaren Fäkalien, Schleim, Erbrochenem. Der Körper in verschiedenen Aggregatzuständen, verwesende Essensreste, schauderliche Fratzen rufen bei den Betrachtenden der großflächigen Abzüge tiefsitzenden Ekel hervor.

Als 1996 Cindy Shermans erster Spielfilm entsteht, bleibt sie den extremen Inhalten ihrer Bilder treu. Office Killer ist ein Thriller über eine Serienmörderin, der jedoch augenzwinkernd mit den Konventionen des Genres spielt. Komödiantisch erzählt der Film die Geschichte einer unscheinbaren, unterbezahlten Redakteurin, die zur Erhaltung ihres Jobs die Belegschaft ihres Wochenmagazins um einiges reduziert. Auch in der Bildgestaltung von Office Killer orientiert sich Sherman an ihrem fotografischen Werk.

Nan Goldins Dia-Shows, deren bekannteste Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit ist, erzeugen durch das Präsentationskonzept bereits einen sehr filmischen Charakter. Die "leidenschaftliche Chronistin der Liebe im Zeitalter von ungeklärter Geschlechtlichkeit, Glamour, Schönheit, Gewalt, Tod, Rausch und Maskierung", wie Elisabeth Sussman Nan Goldin in einem Aufsatz beschreibt, läßt die Bilder nacheinander durch die Projektoren laufen, keins bleibt so lange stehen, daß eine eingehende Betrachtung möglich wäre. Stattdessen ziehen die Dias als assoziative Bildergeschichte vorüber, unterlegt mit einem collagehaften Soundtrack aus unterschiedlichsten Songs. Einer von ihnen, I'll be your Mirror von The Velvet Underground & Nico, gibt Nan Goldins Dokumentarfilm den Namen. Der Film I'll be your Mirror entsteht 1995 in Zusammenarbeit mit der BBC und wird eine zärtliche Erinnerung an viele FreundInnen der New Yorker Underground-Szene, die Goldin in den 80ern fotografiert hatte und die zum Zeitpunkt der Filmentstehung bereits an AIDS verstorben waren. Alte private Super-8-Aufnahmen, ihre Bilder und neu gedrehte Interviews mit überlebenden FreundInnen dienten Goldin als Grundmaterial.

Diese New Yorker Underground-Szene nimmt die Filmemacherin Lisa Cholodenko als Folie für ihren Debutfilm High Art (USA 1997). Tatsächlich erinnert ihre Protagonistin Lucy Berliner mit ihrer Lebensart und ihren Fotos in Versatzstücken an die Bildwelten Nan Goldins. Auf diese 'fremde' Welt und auf die Liebe von Lucy läßt sich die junge Syd, Mitarbeiterin eines Kunstmagazins ein, die gleichzeitig mit der Aufgabe betraut wird, dem ehemaligen Star der Kunstszene neue Bilder abzuringen. Ally Sheedy, in den 80ern durch Filme wie Wargames, Nr. 5 lebt oder St. Elmos Fire bekannt geworden, feiert in High Art als Fotografin, die sich einem verlogenen Kunstmarkt entzogen hat, ein grandioses Comeback.

Dem Theater erscheint die Fotografie rein technisch weniger nah als dem Film. Schon früh dokumentieren historische Bilder die Dynamik unterschiedlichster Figuren des Ausdruckstanzes oder die großen Posen einer Sarah Bernard. Die französische Fotografin Martine Franck hat die Theater- und Filmregisseurin Ariane Mnouchkine mit ihrer Truppe bei Theaterinszenierungen beobachtet. Daraus entstand mit Ariane et Compagnie eine filmische Bildcollage aus Francks Fotografien, rhythmisch mit Musik und Interviewausschnitten untermalt. Im Prinzip orientiert Martine Franck sich damit gestalterisch ähnlich wie Nan Goldin in ihren Dia-Shows, indem sie Fotos in einer linearen Abfolge präsentiert. Doch hat sie diese tatsächlich auf Film gebannt.

 




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Der Blues der alten Schachteln

Verbitterte Weiber bleiben übrig, wenn Frauen alt werden! Frustriert vom Alterungsprozeß und körperlichen 'Verfall' sitzt die 'alte Schachtel' im Lehnstuhl, heult ihrer vergangenen Schönheit hinterher und wartet auf den Tod! Dieses Bild von älteren Frauen enthält zahlreiche Hinweise auf die kulturellen Maßstäbe, die an "Weiblichkeit" angelegt werden. Während ihre Attraktivität jungen Frauen gesellschaftliche Privilegien sichert, werden Altersspuren im Gesicht und am Körper von Frauen (und anders als bei Männern) schnell unter Perspektivlosigkeit und Lebensende verbucht. Wen wundert es da, wenn diese Aberkennung eines zukunftsorientierten Lebens tatsächlich zur Verdrängung der frustrierenden Gegenwart und Flucht in die Vergangenheit führt?

Für den Film scheinen ältere Frauen wenig interessant zu sein -ihre Darstellung bleibt auf wenige Typen beschränkt. In der Regel wird ihr Körper ent-erotisiert und damit ausgeschlossen, daß ältere Protagonistinnen zum 'Objekt der Begierde' und des (männlichen) Kinoblicks werden. Übrig bleiben Rollen, in denen ältere Frauen als Mütter, komische Alte oder Frustrierte auftreten; ihre vergangene Jugend scheint höchstens in melancholischen Erinnerungen auf. Daß diese Frauen ihr Leben weiterhin als aktiv Handelnde selbst bestimmen, wird ihnen eher selten zugestanden.

Rückt die 'alte Schachtel' nun in den Mittelpunkt der filmischen Betrachtung, lassen sich diese Stereotypen nur noch mühsam aufrecht erhalten. Der Rückblick auf die Vergangenheit ist dann beispielsweise nicht mehr auf die Flucht aus der Gegenwart reduzierbar; er stellt vielmehr Elemente bereit, die für das gegenwärtige Leben der Frauen von Bedeutung sind: Aus der eigenen Geschichte kann sich beispielsweise die Kraft speisen, das Leben als alter Mensch selbständig zu bewältigen; s ie kann zu einer machtvollen Wissensposition werden, die -wie in The Home for Blind Women (siehe "Eröffnung") - von den Zeuginnen der historischen Ereignissen lustvoll ausgespielt wird; sie kann - wie in Sand Bride- Geheimnisse enthalten, deren Enthüllung die ältere Frau in eine -ihr gesellschaftlich schon längs aberkannte- Rolle zurückkehren läßt, indem sie den weiteren Verlauf der Ereignisse bestimmt. Eine zentrale Position, von der aus alle Handlungen kontrolliert werden, sichert sich auch die komische oder verrückte Alte (Anthrakitis) mit ihren 'Überraschungen' und der Tyrannisierung ihres 'Pflegepersonals'.

Eine 'Revitalisierung' des Lebens der 'alten Schachteln' findet durch verschiedene Ereignisse statt, die eine Bestätigungen in der eingenommenen/zugeschriebenen Rolle (z.B. als Mutter) oder den Ausbruch aus dieser umfassen können. So versucht sich in Queen of the Mist eine über 60jährige (finanziell) perspektivlose Frau eine neue Existenzgrundlage zu schaffen, indem sie sich um die Jahrhundertwende die Niagara-Fälle in einem Faß hinunterstürzt. Am deutlichsten manifestiert sich die Teilhabe am Lebens für ältere Frauen jedoch, wenn dem vermeindlichen Verlust von Attraktivität widersprochen wird. Ein Liebhaber stellt daher alle gesellschaftlichen Zuschreibungen auf den Kopf, von denen das Leben der Frauen geprägt ist. Ihr eintöniger Alltag wird -wie in Sand Bride- in völlig neue Bahnen gelenkt.

 




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Die Philosophie des Unterwegs

"Unterwegs-Sein", ein Synonym für jedwede Suche nach neuen Lebenskonzepten oder "Reise" als abgeschmackte Metapher für die Lebensreise an sich hat im Hollywoodkino durch das Symbol der Straße zu einer weiteren Ausformulierung des amerikanischen Mythos geführt. Seine Ursprünge, eng verknüpft mit dem Mythos der 'frontier', gehen in der amerikanischen Geschichte zurück bis zur Besiedelung Nordamerikas durch die Europäer. Filmische Geschichten werden oft als innere Reise der HeldInnen beschrieben. Was geschieht also, wenn die physische Reise Hauptbestandteil und strukturierendes Element des Plots wird? Welche Modelle bieten Regisseurinnen uns in diesem sehr männlichen Genre an? In der Reihe "Die Philosophie des Unterwegs" wollen wir die Reise im Film betrachten, ohne in eine Genredebatte um das Roadmovie zu geraten. Nichts desto trotz stellen wir uns die Frage, was ein Roadmovie ausmacht, um zu sehen, wie Filmemacherinnen mit Genrekonventionen spielen und deren Grenzen aufbrechen. Auf der Flucht oder auf der Suche verschafft die Straße den Helden zumindest für kurze Zeit eine gewisse Freiheit. Geht es sonst darum, möglichst schnell von Punkt A zu Punkt B zu gelangen, wird beim Motiv der Straße oder Reise im Film der Zeitraum dazwischen inszeniert. Ein Unort (space off) entsteht, der scheinbar fernab von bürgerlichen Konventionen und Normen als Bühne für Freaks und Außenseiter fungiert: "The road defines the space between town and country. It is an empty expanse, 'a tabula rasa', the last true frontier." Die Reise der HeldInnen muß dazwischen stattfinden, und die innere Suche findet im Plot eine äußere Ausdrucksform. Indem die Figuren sich in diesen Unort begeben, teils freiwillig - teils gezwungenermaßen, lassen sie festgelegte Konventionen hinter sich, und der space off wird zum Spielraum für Alternativen. Er lockt mit seiner Gesetzlosigkeit, die nicht gleichsteht mit Unmoral, und verbannt Häuslichkeit komplett aus seiner Agenda. Die HeldInnen der Roadmovies sind Freaks und solche, deren Identität im Mainstream nur als Außenseiter Platz findet. Das ist der Grund, warum z. B. die dokumentarische Suche nach lesbischem Leben im outback der USA in Greeting from Out Here von Ellen Spiro als Roadmovie so gut funktionniert, oder Rene Tajima-Peña (beeinflußt von der beat generation um Kerouac's "On the Road") asiatischen Identitäten in den USA in dieser Form nachspürt. Im Endeffekt sind fiktionale Roadmovies aber zu cool, um sich tatsächlich ernsthaft mit sozialen und politischen Problemen zu beschäftigen. "They express the fury and suffering at the extremities of civilized life, and give their restless protagonists the false hope of a one-way ticket to nowhere. [...] It's a predictable enough fate for a mainstream project longing to express outlaw impulses it cannot properly access...". Die sympathischen Outlaw-Helden haben eindeutig mehr von Calamity Jane oder John Wayne als von Rosa Luxenburg oder Malcom X. Die Männlichkeit, die die Straße im Film bevölkert, hat ihre Urspünge im Western, der als Vorreiter der Roadfilme gilt, wobei der Cowboy sein Pferd gegen ein Motorad oder Auto eintauscht. Natürlich ist der Roadfilm, gerade weil seine Helden die hippen Aussteiger sind, kein statisches Genre und kann sicherlich durch die Wechsel seiner Themen Aufschluß über zeitgenössische Debatten geben, wie verzerrt sie auch immer dargestellt sein mögen. Kerouac hatte mit seinem Kultroman "On the Road" einen Paradigmenwechsel auch für die Umsetzung der Reise im Film eingeläutet. Waren die Helden zuvor heterosexuelle Paare (z.B. Clark Gable und Colette Colbert in It Happened One Night) oder ganze Gemeinschaften (z.B. "The Grapes of Wrath"), gingen nach Kerouac die männlichen Buddies in echter Männerfreundschaft auf die Reise. Trend- und Genresetter war vor 30 Jahren Easy Rider, der 1969 immerhin eine goldene Palme in Cannes erhielt. Auf ihn folgten so viele Filme mit unzähligen Reisen (zunächst kreuz und quer durch die Staaten), daß man begann, von einem eigenständigen Genre zu sprechen. Neben den Buddies kam das heterosexuelle Paar zwar noch vor, aber die Verbindung der Liebenden war meist krimineller Natur (z.B. Bonnie & Clyde). Unmöglich scheint jedweder Kompromiß zwischen individueller Freiheit und sozialer Ordnung oder technologischer Bewegung und domestizierter Statik. Das romantische Paar wird zu Outlaw-Liebenden. Mit der immer sichtbarer werdenden Schwulenbewegung wird allerdings auch die Freundschaft der buddies on the road schwierig: "...audiences could no longer as easily ignore the possibilities that the intimacy of a same-sex road couple suggests, since such a queer subtext was by then widely acknowledged by the popular press, even when it was diegetically insisted to be 'impossible'". Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum die Roadmovies von der individuellen Freiheitssuche à la Easy Rider in den 80er Jahren zu Komödien überwechselten und der Roadfilm als Kunstfilm mit Wenders und Kaurismäki eher in Europa entstand, um dann Amerikaner wie Jim Jarmusch neu zu inspirieren. Der große Wandel in der Rezeption im wissenschaftlichen Bereich kam mit Thelma und Louise. Die beiden finden, daß es weitaus angenehmer ist, als Outlaws zu leben, denn als Hausfrau oder Kellnerin, und haben damit den buddies der 70er und 80er Jahre einiges gemein. Die Straße ist nun wieder offen und wird im Film nicht nur von Frauen genutzt. In den 90er Jahren sind Kinder, Vampire, Schwarze on the road, und auch Lesben und Schwule entdecken die Freiheit, die die Straße ihnen bietet. Sie wird zum Symbol für die Suche nach einer Identität, die in diesem Fall außerhalb einer normierten Zwangsheterosexualität liegt. Der Spielraum, den der Unort bietet, wird Metapher für die Diversität möglicher Lebensformen. Im Laufe der Jahre hat das Roadmovie als Genre feste dramaturgische Regeln etabliert (Reise als konstitutives Element, Motivation für die Reise etc.), die zu verletzen für die revolutionierenden Helden in den Ketten von filmischen Konventionen schon wieder undenkbar scheint. Als ZuschauerInnen, die in 30 Jahren Roadmovietradition Sehgewohnheiten trainierten, stellen wir tatsächlich recht festgefahrene Erwartungen an die unkonventionellen Heldinnen - nämlich u.a., daß sie unkonventionell sein sollen. In diesem Rahmen werden die Freaks ausgestellt, sind zwar Sympathieträger, aber haben letztlich nur eine Nische im Kino gefunden, die ihre Suche nach Freiheit ad absurdum führt. Ein fester Bestandteil vieler Roadmovies ist somit auch sein Ende: Der gewaltsame Tod nicht der klassischen Bösewichte, sondern der Helden oft durch Gesetzesvertreter, die die Ordnung wieder herstellen und damit bestehendes Recht und Gesetz restaurieren. Die kurze Zeit der Helden gleicht einem karnevalesken Akt; Unordnung zu stiften dient dazu, bürgerliche Normen und Werte geradezurücken.

 




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Just the two of us

Schwestern im Kino - das sind Filme über, mit und von Schwestern, das sind exemplarische Familiengeschichten, frühe Leinwandeindrücke durch Das Doppelte Lottchen und spätere durch Klassiker des Neuen Deutschen Frauenfilms wie Margarethe von Trottas Schwestern oder die Balance des Glücks. Das sind Begegnungen mit realen Schauspieler-Schwestern wie Catherine Deneuve und der viel zu früh verstorbenen Françoise Dorléac, Joan Fontaine und Olivia de Havilland. Deren Verhältnis war privat wie beruflich zu sehr von Rivalität geprägt, als daß ein gemeinsamer Auftritt vor der Kamera möglich gewesen wäre. Jane und Anna Campion hingegen haben zusammen gearbeitet; in dem Kurzfilm The Audition (Die Probe) läßt sich die Berühmtere 1989 von der Schwester bei der Arbeit und der Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Mutter filmen. Mit Sweetie hat Jane Campion zudem im selben Jahr eine Ikone des Schwesternfilms geschaffen, auf den sich neuere Streifen wie Carine Adlers Debüt Under the Skin ein Jahrzehnt später beziehen.

Beide Werke sind beispielhaft für die Intensität der filmischen Familienromane um weibliche Geschwister, die häufig vom Charakter und von ihren Lebensentwürfen kaum unterschiedlicher sein könnten. Die Schwesternthematik ist ohne den Bezug zur Gesamtfamilie, zu Mutter und Vater kaum vorstellbar. Dementsprechend ist der Tod eines engen Familienmitglieds nach Jahren der Distanz häufig der äußere Anlaß für die Wiederbegegnung. Fast schon als Topos präsentiert das Kino die Schwester als Widerpart und Spiegel zugleich, in dem sich die eigene Existenz reflektiert. Eine symbiotisch-inzestuöse Schwesternbeziehung wie in Nancy Mecklers Sister my Sister, einem der Höhepunkte der letzten femme totale, zählt zu den Ausnahmen. Anders als bei der Mutter-Tochter-Thematik fehlt der Generationskonflikt, an seine Stelle tritt das Moment der Bilanz und des Vergleiches: Was hat die Schwester aus ihrem Leben gemacht hat, was habe ich geschafft? So geht es in den Schwesternfilmen um die Aufarbeitung von Vergangenheit, davon ausgehend zugleich um eine eigene Positionsbestimmung für die Gegenwart und Weichenstellung für die Zukunft. Es ist sicherlich kein Zufall, daß der Schwesternfilm auffallend gut mit dem Road Movie harmoniert, wie die Filme Die Nacht des Schmetterlings und Manni and Lo des diesjährigen Programms beweisen, denn ihnen sind Selbstsuche und Selbsterkenntnis gemein.

Die vorgestellten Regisseurinnen beobachten die Schwesternkonstellation nicht mit klinischem Blick von außen, sondern geben der Perspektive einer der beiden durch einen Voice-over und subjektive Einstellungen nachhaltig filmischen Raum. In Under the Skin macht zum Beispiel die expressive Handkamera des Ken Loach-Kameramanns Barry Ackroyd mit schiefen und verkanteten Einstellungen die Seelenqualen und Angstzustände der Protagonistin Iris visuell erfahrbar. Die junge Frau leidet existentiell darunter, daß die Mutter ihre erstgeborene Tochter Rose immer bevorzugt hat und beide angesichts von deren fortgeschrittener Schwangerschaft eine Nähe zueinander demonstrieren, von der sie sich ausgeschlossen fühlt. Nach dem plötzlichen Tod der geliebten Mum gerät Iris völlig aus dem Gleichgewicht, staffiert sich mit Mutters Pelzmantel und Perücke aus und sucht exzessiv Anerkennung und Nähe im schnellen Sex. Erst der totale Zusammenbruch ermöglicht einen Neuanfang und die Versöhnung mit der Schwester.

Bei den dokumentarischen Arbeiten sind die autobiographischen Wurzeln augenfällig und stark ausgeprägt. Die Filmemacherinnen richten die Kamera auf ihre eigene Familie und porträtieren Schwestern in verschiedenen Altersstufen, vom Teenager über die beruflich erfolgreiche Frau um die Vierzig bis hin zur achtzigjährigen Greisin: Kirsten Glaubner gestaltet in Einundzwanzig mit impressionistisch-experimentellen Bildern ein ungewöhnliches Filmrequiem für die Schwester, die tödlich mit dem Motorrad verunglückt ist. Helga Reidemeister stellt sich in Mit starrem Blick aufs Geld den Gefühlen von Konkurrenz, Eifersucht und zugleich Geringschätzung, die ihre jüngere Schwester Hilde Kulbach, ein im Beruf und bei Männern erfolgreiches Fotomodell und Mannequin, in ihr viele Jahre lang ausgelöst hat. Erst die intensive Beschäftigung miteinander nach längerem Abstand ermöglicht eine andere Perspektive: "Es hat lange gedauert, bis ich entdeckte, daß Hilde und ich Gemeinsamkeiten haben - ähnliche Schwierigkeiten, den Alltag zu schaffen, ohne sich dabei selbst zu verlieren." Wie Schwestern in historischen Ausnahmesituationen zu einem extremen Zusammenhalt finden und sich einander in feindlicher Umgebung die fehlende Familie ersetzen, illustriert die Dokumentation von Tsipi Reibenbach. In Shalosh ahayot (Drei Schwestern) beobachtet die israelische Regisseurin in Alltagsbildern und ohne jeglichen Kommentar, wie das Leben ihrer Mutter Fruma und deren Schwestern Karola und Ester nach über 50 Jahren immer noch von den psychischen Spätfolgen der Shoah-Erfahrung beherrscht wird. Im sicheren Altenheim strickt Karola ununterbrochen wie im Arbeitslager, als ginge es um ihr Leben; Fruma ist durch eine tiefe innere Unruhe getrieben und versucht, die Lagererlebnisse aufzuschreiben; Ester, die jüngste, leidet darunter, daß sie kein eigenes Leben hatte: in ihrer Jugend das Lager, dann die Familie, jetzt der pflegebedürftige Ehemann.

 




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Looking for Fumiko - Filmemacherinnen aus Japan

Hätte Madame Butterfly eine 8-mm Kamera in der Hand gehabt, hätte sie nicht in Kummer versunken auf Pinkerton warten müssen ...

Die vom konfuzianistischen Patriarchat geprägte japanische Kollektivgesellschaft hat den Einstieg für Frauen ins Berufsleben schwergemacht. Auch die Filmbrache bildete dabei keine Ausnahme. Zwar waren Frauen in Filmen Objekte oder konnten in bestimmten Bereichen als Mitarbeiterin Aufgaben übernehmen, es war jedoch lange Zeit kaum vorstellbar, daß Frauen als Subjekte in der Filmgestaltung die Regie übernahmen.

Interessanterweise gingen aus dem Umfeld des bekannten Regisseurs Kenji Mizoguchi, der viele Filme mit Heldinnen gemacht hat, die ersten japanischen Filmemacherinnen hervor. Als Pionierin gilt Tazuko Sakane (1904-75), die jedoch einen Ausnahmefall darstellt. Sie war zuerst bei Mizoguchi Assistentin und hat 1936 mit Hatsu sugata erstmals Regie geführt. Nach einem Dutzend Kulturfilme, die sie in der Mandschurei gedreht hat, arbeitete sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Drehbuchautorin.

Mit der Demokratisierung, die sich in der japanischen Nachkriegsgesellschaft vollzog, erhielten die Frauen das Wahlrecht, das sie 1946 erstmals ausüben konnten. Während in Filmen neue Frauentypen dargestellt wurden, änderten sich die Verhältnisse in der Produktion bis in die 70er Jahre allerdings kaum. Im Grunde gab es für Frauen nur zwei Möglichkeiten, Filme zu machen: entweder als Schauspielerin, die in einzelnen Fällen ins Regiefach wechselte, oder als Auftragnehmerin im Kultur-, Lehr- und Industriefilm bei kleineren Produktionsfirmen. Die renommierte Schauspielerin Kinuyo Tanaka gilt -fälschlicherweise- als erste Regisseurin in Japan. Bevor sie 1953 Koibumi gedreht hat, spielte sie in zahlreichen Filmen von Mizoguchi die Hauptrolle, bis die Freundschaft mit ihm wegen ihrer zweiten Regiearbeit zerbrach. Einzelne Filmemacherinnen wie Mariko Miyagi, Sachiko Hidari und Midori Kurisaki, die praktisch in den 70er Jahren ihre eigene Regiearbeit in Angriff genommen haben, sind Schauspielerinnen. Gegen die Beschreibung der Nachkriegszeit als 'Zeit des Vakuums' lassen sich jedoch Einwände erheben. Wie bereits erwähnt haben kleine Produktionsfirmen, die Kultur-, Lehr- und Industriefilme herstellten, diese Filme jungen Frauen anvertraut. Filmemacherinnen wie Rinko Nakamura, Toshie Tokieda, Sumiko Haneda und Tomoko Fujiwara konnten ihre Arbeit somit bereits in den 50er Jahren beginnen, als in den großen Produktionsfirmen den Frauen der Weg zur Regisseurin noch versperrt war. Einige Filmemacherinnen in diesem Bereich haben jedoch lange gebraucht, bis sie eigene Projekte realisieren konnten.

Über die Auswirkungen der Reformwelle Ende der 60er Jahre läßt sich nur spekulieren. In der Tat entstand in den 70er Jahren eine Bewegung hin zum Experimental- oder Undergroundfilm. Die 8-mm Kamera wurde wiederentdeckt und ihre Möglichkeiten erweitert. Mit diesem Minimalmittel konnte man sich ausdrücken, die Umgebung oder sogar die Welt zeigen. Mako Idemitsu und Seiko Otobe sind hier als Beispiel zu nennen. Noch heute beginnen Filmstudenten mit 8-mm Kameras. In Verbindung mit der Ausbreitung von Video wird die Ausrüstung immer kleiner, leichter und billiger. Seit Mitte der 80er Jahre fördern zwei Filminstitutionen solche jungen Filme- und Videomacherinnen.

An dieser Stelle sollen auch auf die Filmemacherinnen vom sogenannten Pinkfilm -Sexfilme für Erwachsene- hingewiesen werden.

1986 trat das "Gesetz der gleichen Chance" in Kraft, das für Angestelltenverhältnisse wirksam ist und eine Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen unterbindet. Auch wenn sich das Bewußtsein und die Gesellschaftsstruktur nur langsam verändern, ist eine Erosion abzusehen. Es ist kein Zufall, daß seit den 90er Jahren vermehrt Frauen im Regiebereich auftauchen. Sie haben in verwandten Bereichen berufliche Erfahrungen gesammelt:Yôko Narahashi war Theaterregisseurin, Yukiko Awaya Computerdesignerin, Naoe Gôzu und Hisako Matsui Produzentinnen. Andere Frauen sind Absolventinnen der Filmschule. Außer dem herkömmlichen Filmstudium an der Universität oder Hochschule wurden Fakultäten, Kunsthochschulen und private Filmschulen erweitert oder eingerichtet, um den zunehmenden Bedarf im Bereich der audiovisuellen Medien abzudecken. Zu diesen Filmemacherinnen zählen Naomi Sento oder Natsuko Ohtsuki. Frauen wie Shimako Satô und Toshiko Shiozaki haben ausländische Filmschulen besucht. Wie sie -ohne ihre Individualität zu verlieren- zur Entfaltung im System kommen, bleibt noch abzuwarten, denn eigentlich haben Frauen in Japan mit dem Filmen gerade erst richtig angefangen.

 




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Lost in music

In den letzten Jahren standen immer wieder Musikerinnen und ihre Kompositionen für den Film im Mittelpunkt des Interesses. Genannt seien hier die großen Filmkomponistinnen Rachel Portman und Anne Dudley, aber auch junge Musikerinnen wie Anna Ikramova mit ihrer Musik in dem Dokumentarfilm Taatlin, Ruth Bieri (die auch in diesem Jahr wieder den Musikworkshop leitet) und Manana Menabde (femme totale '95).

"Lost in music" rückt nun MusikerInnen in "steiler Karriere" und aus dem "Underground" ins Rampenlicht. Die Komplexität von Leben und künstlerischem Schaffen wird u.a. in drei bestechenden Dokumentarfilmen eingefangen. Musik als Opposition, Musik als Karriere oder aber Musik als Nabelschnur zum Leben und der Arbeit, die aufgrund von Krieg und Krisen verlassen werden mußten.

Die Punker in Decline of Western Civilization werden sowohl durch ihr öffentliches Erscheinungsbild wie durch die dissonante Musik als "Störung" im gesellschaftlichen Gefüge wahrgenommen und beabsichtigen dies auch so. In diesem Film geht es Penelope Spheeris vor allem um den Lebensstil und -hintergrund der Fans. In radikaler Abkehr von den gesetzten Normen präsentieren sie der Öffentlichkeit eine negative Biographie - die "No-Future"-Generation. Demgegenüber haben wir es bei Carmen Miranda von Helena Solberg mit einer hochartifiziellen Inszenierung der Musikerin zu tun, die ihre gesamte Persönlichkeit in den Dienst ihrer Karriere stellt.

Nicht die Selbstdarstellung steht bei Underground Orchestra von Heddy Honigmann im Vordergrund, sondern hier werden in einer gekonnten Bildsprache Lebenswege aneinandergereiht und kunstvoll miteinanderverwoben, die etwas gemeinsam haben: Krieg, Putsch, Armut, Hunger und Unterdrückung.

 




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My brillant career

Frauen, die für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und im Berufsleben erfolgreich sind, bevölkern die Leinwand schon seit langem. Bereits in den 20er und 30er Jahren sind Sekretärinnen und Telefonistinnen, Models und Tänzerinnen, Direktricen und Reporterinnen oder -wie in Extra Girl- Schauspielerinnen die Heldinnen der Filme, in denen die Vor- und Nachteile weiblicher Berufstätigkeit geschildert werden. Mit Kompetenz und Körper gelangen sie zum beruflichen Erfolg, ohne dabei jedoch die Hierarchie der Geschlechter zu durchbrechen. Im Hollywoodfilm der 90er behaupten die Frauen nun nicht mehr nur ihre ökonomische Selbständigkeit, sie streben vielmehr als Juristinnen oder Managerinnen nach Machtpositionen und werden damit für die Männer zur bedrohlichen Konkurrenz. Für die Karriere setzen diese Frauen ihren Körper gezielt ein, Freundschaft, Liebe, Familie bleiben im Kampf mit den Männern um die Macht auf der Strecke: Das Bild von der erfolgreichen Karrierefrau ist in der Regel ein negatives.

Entgegen der Vorstellung im Hollywoodfilm, das Ziel jeder erfolgsorientierten Frau sei die Machtübernahme in der Chefetage (oder die Ehe mit dem Chef), wird das berufliche Streben von Frauen in erster Linie davon angetrieben, die finanzielle oder kreative Unabhängigkeit sicherzustellen. Der Erfolg ist jedoch nicht nur vom Selbstverwirklichungswillen der einzelnen Protagonistin abhängig: Konkrete historische Situationen, Machtinteressen, gesellschaftliche und familiäre Strukturen sind Faktoren, denen berufstätige Frauen ausgeliefert sind und die zur Thematisierung von Karriere ebenso gehören wie die drohende Erfolglosigkeit. Die Filme in dieser Reihe beschäftigen sich daher mit anderen Facetten und anderen Karrierefrauen, als wir sie gegenwärtig aus dem Kino und den Vorabendserien gewohnt sind.

Die beruflichen Möglichkeiten für Frauen verändern sich auch mit den 'nationalen Interessen': So zeigt Rosie, die Nieterin, daß der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg vielen amerikanische Frauen die Chance zu einem gewaltigen Karrieresprung bot, indem sie sich nach Jahren ungelernter Arbeit für eine Tätigkeit im industriellen Sektor qualifizieren konnten. Die finanzielle Unabhängigkeit durch eine Arbeit in der Rüstungsindustrie war für die Frauen jedoch befristet: Nach Kriegsende kehrten die Männer an ihre zivilen Arbeitsplätze zurück und drängten ihre weiblichen Kolleginnen in schlechter bezahlte Jobs. Der Situation auf den nationalen Arbeitsmärkten werden zuerst die weiblichen Berufstätigen geopfert. Women are not Little Men karikiert einige der vielfältigen Methoden, mit denen Frauen zum Rückzug aus dem Produktionsbereich bewegt wurden. Bereitwillig wurde ihnen dafür Familie und Heim als Arbeitsfeld überlassen. Daß die finanzielle Abhängigkeit vom Lebenspartner, die aus diesem Beruf resultiert, zahlreiche Gefahren birgt, wird u.a. in It was a wonderful life angesprochen: nach einer Trennung kann eine solche Karriere in unglücklichen Fällen auf der Straße enden.

Kompetenz und Körper ist auch heute in vielen Branchen noch eine Kombination, an denen die berufliche Qualifikation von Frauen gemessen wird. Der Umgang mit dieser Anforderung stellt sich als problematisch dar, denn ein angepaßtes Verhalten -so glauben beispielsweise aufstrebende Filmstars und Produzentinnen, die in Dark Side of Hollywood zu Wort kommen- kann in Positionen führen, in denen der Körpereinsatz nicht mehr erforderlich ist oder für andere Frauen gar abgeschafft werden kann.

 




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Unorte

In den letzten Jahren erfreut sich das Wort "Unort" in unterschiedlichen Kontexten einiger Beliebtheit, sei es in der queer theory oder der Soziologie , die unsere Städte und Metropolen als Unorte definieren. Im Duden findet sich bezeichnenderweise zwischen "un/or/ga/nisch"; "un/or/ga/ni/siert" und "un/or/tho/dox" nichts; besser ist die Ausbeute unter "Niemandsland": das; -[e]s (Kampfgebiet zwischen feindlichen Linien; unerforschtes, herrenloses Land). Eine Erinnerung führt weiter zu "Utopie", einem Begriff, der nach '68 im Zuge der Globalisierung aber offensichtlich völlig aus der Mode gekommen ist. "Utopie, die [gr.], 'Nirgendland'; Wunschbild von einem idealen Gesellschaftszustand; Hirngespinst, Schwärmerei".

Die Benutzung des Wortes Unort setzt zumindest voraus, daß es auch einen Ort gibt, dort wo man ist, wo es normal ist, zu sein. Denn offensichtlich gibt es allgemein als Wahrheit akzeptierte Aussagen, und alles, was in dieser jeweiligen Wahrheit keinen Platz findet, wird unweigerlich an einen Unort verbannt. Was nicht normal ist, ist unnormal und muß normalisiert werden, wie in dem Dokumentarfilm Ohne Bewährung. Psychogramm einer Mörderin, dem Portrait eines Mädchens, das hinter Gittern erwachsen wird.

In Orten, die als Unorte codiert sind, hält man sich angeblich nicht gern auf, und damit einher geht gesellschaftliche Ausgrenzung. Wie man an diese Orte oft unfreiwillig gelangt, sich aber dennoch einrichtet und einrichten muß, zeigt auch It Was A Wonderful Life. Einfühlsam werden Frauen protraitiert, die obdachlos in den Städten der Vereinigten Staaten leben, denen man ihren sozialen Notstand jedoch nur auf den 2. Blick ansieht. Sie bleiben unsichtbar in den Unorten, ohne Wohnung und Geld. Die Filmreihe schafft auf dem Festival ein Gegenstück zu Karrieren (S: My Brillant Career) und setzt an, wo Lebensläufe endgültig aus Normalitäts-Bahnen entgleisen. Im schlimmsten Fall werden die Menschen in dafür vorgesehene Institutionen weggesperrt. Klapse oder Knast sorgen dafür, daß Normalität gewahrt bleibt. Der Spielfilm Dangerous Offender der canadischen Regisseurin Holly Dale skizziert den Lebensweg von Marlene Moore, die als 1. Frau in der canadischen Justizgeschichte als dangerous offender, eine Gefahr für die Allgemeinheit, verurteilt wurde. Es bedeutet lebenslänglich ohne Möglichkeit der Begnadigung und ist das extremste Strafmaß, das die canadische Justiz kennt. Die Unorte, die in der Reihe Die Philosophie des Unterwegs in klassichen Spielfilmen auf dem Festival präsentiert werden, schließen thematisch den Kreis der Utopien.